Skip to content

Forderungen / Konsequenzen

Seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle werden von vielen Seiten Forderungen und der Ruf nach Konsequenzen laut.

Wir möchten Ihnen hier die vielen Hintergründe, Anregungen und Vorschläge, die medial diskutiert werden zur Verfügung stellen, in der Absicht, dass Sie auch für Ihre Diskussionen im Freundeskreis oder in einem breiteren Rahmen wertvoll sind.

Bei Missbrauch Behörden einschalten

Vatikan veröffentlicht Richtlinien
Der Vatikan macht einen „Führer zu einem Grundverständnis der Prozeduren der Glaubenskongregation“ bei sexuellem Missbrauch publik. Danach sollte das bürgerliche Gesetz, das die Anzeige von Verbrechen bei den Behörden betrifft, „immer befolgt werden“.

Bei sexuellen Missbrauchsfällen muss die Kirche immer die staatlichen Behörden einschalten. Und in sehr schweren Fällen von Pädophilie kann der Papst einen schuldigen Priester auch ohne kirchenrechtlichen Prozess direkt in den Laienstand zurückversetzen. Das sind zwei der Richtlinien, die der Vatikan am Montag auf seiner Website veröffentlicht hat – als „Führer zu einem Grundverständnis der Prozeduren der Glaubenskongregation“ bei sexuellem Missbrauch.

Der „Führer“ verknüpft die päpstliche Botschaft „Sacramentorum sanctitatis tutela“ vom 30. April 2001 und den Kodex des Kanonischen Rechts von 1983. Diese „Einführung“ soll für all jene hilfreich sein, die nicht so gut mit dem Kirchenrecht und den Abläufen in der Kirche vertraut sind, erläuterte der Vatikan. Sprecher Ciro Benedettini sagte, das Regelwerk stamme von 2003 und sei somit nicht neu. Es werde jetzt veröffentlicht, um „absolute Transparenz“ zu zeigen.
Quelle: n-tv.de
Artikel download: [pdf]

Kirche ernennt Klasnic zur Opferbeauftragten

Die ehemalige steirische Landeshauptfrau wird eine unabhängige Kommission zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche zusammenstellen. Das sei keine einfache Aufgabe, aber Ehrenpflicht, sagte sie.
Die ehemalige steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic (ÖVP) wird „unabhängige Opferbeauftragte“ der katholischen Kirche. Das teilte Kardinal Christoph Schönborn am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ mit. Klasnic selbst sagte in einer schriftlichen Stellungnahme, es handle sich zwar um keine einfache Aufgabe, aber um eine „Ehrenpflicht“. Ihr Ziel sei es, die Tätigkeit „rasch und wirksam aufzunehmen – wenn möglich noch vor Ende April“.

Der Wiener Erzbischof reagiert damit auf das Bekanntwerden von immer mehr Missbrauchsfällen in Kirchenkreisen. Klasnic werde in den kommenden Wochen eine unabhängige Kommission zu den Missbrauchsfällen zusammenstellen, sagte Schönborn. Ob weitere Politiker in Klasnics Team sein würden, konnte er nicht sagen – jedenfalls würden diesem keine „Amtsträger der Kirche“ angehören.

Klasnic erklärte, dass ihr von Kardinal Christoph Schönborn „völlige Unabhängigkeit zugesagt“ wurde, die aus ihrer Sicht eine „unabdingbare Voraussetzung für eine glaubwürdige und vertrauensvolle Tätigkeit“ sei. „Mir ist bewusst, dass auf die Opferschutzanwaltschaft eine nicht einfache Aufgabe zukommt, aber ich habe es als meine Ehrenpflicht angesehen, die Anfrage des Kardinals positiv zu beantworten, wenn es die Meinung gibt, ich könne einen Beitrag dazu leisten, Opfern Hilfestellung zu geben und mitzuwirken, dass sehr Leidvolles aus der Vergangenheit ehrlich aufgearbeitet wird und Lehren für das Heute und Morgen gezogen werden,“ so Klasnic.
Finanzierung durch Kirche

Die künftige Opferbeauftragte soll am Gründonnerstag mit Schönborn zusammentreffen, um die weitere Vorgangsweise festzulegen. Für die Finanzierung der Tätigkeit werde die Kirche aufkommen, wobei keine Kirchenbeitragsmittel eingesetzt werden. Selbstverständlich werde es eine enge Zusammenarbeit mit den ab 1996 aufgebauten kirchlichen Ombudsstellen geben, so der Kardinal. Diese würden „eine zuverlässige und vertrauenswürdige Arbeit leisten“. Die unabhängige Opfer-Beauftragte soll auch mit ihrem Team festlegen, wo finanzielle Zuwendungen notwendig sind.

Eine staatliche Untersuchungskommission wolle er mit Klasnic‘ Bestellung nicht vermeiden, sagte Schönborn. Auch mit einer solchen wolle man kooperieren.

Schönborn würdigte die „starke soziale Kompetenz und die Sensibilität von Waltraud Klasnic“. Der steirische Diözesan-Bischof Egon Kapellari dankte Klasnic „für die Bereitschaft, nun einen weiteren wichtigen Dienst für Gesellschaft und Kirche“ zu übernehmen. Klasnic war von 1996 bis 2005 „Landesmutter“ der Steiermark. Seit 2008 ist sie Vorsitzende des Dachverbands Hospiz Österreich.
Opfervertreter nicht zufrieden

Nicht ganz zufrieden zeigten sich Opfervertreter und die Grünen mit dem Schritt der Kirche. Die „Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt“ stellte die Unabhängigkeit der angekündigten Kommission infrage. „Denn Klasnic wird von Bischöfen eingesetzt, von der Kirche bezahlt und unterliegt damit natürlich letztlich auch deren Anweisungen.“

Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser sieht in Schönborns Entscheidung nur einen Anfang bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Ob die Opferbeauftragte Klasnic ein Beitrag zur Aufarbeitung ist, macht Steinhauser von den Rahmenbedingungen abhängig, etwa eine ausreichende Budgetierung, die Möglichkeit der Aufarbeitung der Fälle sowie und eine Entschädigung unabhängig von Verjährungsvorschriften.
28.3.2010

Quelle: diepresse.com
Artikel download: [pdf]

Wie geht die Kirche mit Verdachtsfällen um?

Das Vorgehen bei Bekanntwerden von Missbrauchsfällen ist im Behelf für Mitarbeiter der Erzdiözese Wien erklärt. Verdachtsfälle sollen demnach entweder bei der Ombudsstelle, dem unmittelbaren dienstlichen Vorgesetzten oder dem erzbischöflichen Ordinariat (Generalvikar oder Kanzler) gemeldet werden. Bis zur Klärung des Sachverhalts kann der Generalvikar aus eigener Entscheidung oder über Antrag der betroffenen Person eine Dienstfreistellung verfügen.

Ombudsstelle prüft.

Nach der Meldung folgt die Prüfung, ob tatsächlich ein Fall von sexuellem Missbrauch vorliegt. Hat das Opfer selbst die Meldung eingebracht, kümmert sich darum die Ombudsstelle.
Der Diözesanbischof und der Generalvikar treffen nach Vorlage der Prüfungsergebnisse die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise. Dazu können sie die Kommission je nach Sachlage zu weiteren Recherchen beauftragen oder Handlungsempfehlungen abgeben. Je nach Schwere des Vergehens kann der Täter etwa in seinen Handlungsbereichen eingeschränkt werden, also Aufgaben als Betreuer von Jugendlichen oder in der Seelsorge verlieren und in die Administration versetzt werden.
Besonders schwerwiegende Fälle werden der Glaubenskongregation in Rom gemeldet. Dies geschieht ab dem Zeitpunkt, zu dem der Geistliche aufgrund einer Verdachtslage freigestellt worden ist. Ein solches Tribunal kann sogar – sollte sich der Verdacht bestätigen – die Verjährungsfrist aufheben. Als schwerwiegendste Konsequenz kann Rom schließlich die Rückstufung des Täters auf den Laienstatus bewirken.

Die Meldepflicht in der römisch-katholischen Kirche hat allerdings auch Lücken. Gibt etwa ein Priester seine Tat im Beichtgespräch mit einem anderen Geistlichen zu, hat dies aufgrund des einzuhaltenden Beichtgeheimnis keine Konsequenzen.

Quelle: derstandard.at
Artikel download [pdf]

‚Wir sind Kirche‘ fordert: Auch Papst Benedikt XVI. soll Farbe bekennen

Denn Joseph Ratzingers Amtszeit als Münchner Erzbischof von 1977 bis 1982 gehört genau zu den Jahren, um die es bei den Missbrauchsfällen geht. Es dränge sich die Frage auf, ob er damals Kenntnis von solchen Übergriffen gehabt habe – und falls ja, wie er damit umgegangen sei.
Hauptziel sei die ‚Gerechtigkeit für mögliche Opfer‘. Nach Angaben des kirchlichen Sonderbeauftragten und Trierer Bischofs Stephan Ackermann soll für sie nun eine Hotline eingerichtet werden.
‚Wir sind Kirche‘-Sprecher Weisner verlangt von den Bischöfen ein sichtbares Zeichen der Reue. ‚Eine auf einer Pressekonferenz abgelesene Entschuldigung reicht nicht aus.‘ Stattdessen solle die Deutsche Bischofskonferenz etwa eine gut dotierte Stiftung zur Vorbeugung gegen sexuellen Missbrauch gründen.

Quelle: derstandard.at
Artikel download  [pdf]

Theologin Prof. Susanne Heine : „Der Papst sollte zurücktreten“

Die prominente evangelische Theologin, Prof. Susanne Heine, wirft dem Papst im Umgang mit dem Missbrauchsskandal Zynismus vor.
Ein Büro hinter dem Wiener Burgtheater, eingerichtet wie ein elegantes Wohnzimmer; später Jugendstil. Von ihrer Terrasse über den Dächern von Wien blickt Susanne Heine über insgesamt 18 Kirchtürme. „Ich hab’ sie nie gezählt“, gibt sie lächelnd zu.
Die Theologin kommt gerade von Gastvorträgen in Glasgow zurück, als wir sie zum Interview treffen. Der Hirtenbrief des Papstes, der Zorn und die Enttäuschung vieler Gläubiger ist auch in evangelischen Kreisen eine „Causa“.
Susanne Heine richtet nicht. Sie ist Religionspsychologin und analysiert. Ihre Stimme hat jenen leisen Klang, der im Gegenüber umso größere Aufmerksamkeit hervorruft. In ihre mutigen, aber sehr bedächtig gewählten Worte mischt sich immer wieder das Läuten der Kirchenglocken.
KURIER: Frau Professor, was ging durch Ihren Kopf, als Sie am Wochenende den Hirtenbrief des Papstes in Ruhe studiert und analysiert haben?
Susanne Heine: Es ist sehr befremdlich für mich, dass der Papst den Missbrauch vielfach herunterspielt, etwa durch den Vergleich mit dem „heroischen Beitrag“ der Katholiken in Irland, die „immer eine Kraft für das Gute“ waren, dem Evangelium treu und Opfer der Protestanten. Als ziemlich zynisch empfinde ich, den Opfern Christus vor Augen zu stellen, der „wie ihr“ die Wunden ungerechten Leidens trägt. Sollen die Opfer nun ihr Leid geduldig ertragen wie Christus? Und ist Missbrauch nur „ungerecht“?
Die Plattform „Wir sind Kirche“ hat einen Gottesdienst mit Kardinal Schönborn initiiert mit dem Titel „Ich bin wütend, Gott“. Ein erster Schritt zur Aufarbeitung?
Da frage ich mich schon, ob nun Gott anstelle der Kirche angeklagt werden soll? Auch im Brief des Papstes geht es immer nur um „individuelles Unrecht“. Kein Wort, dass das autoritäre System der römischen Kirche ein Nährboden ist. Viele Worte für einen aus der Welt herausgehoben Klerus und die „Heiligkeit des Weihesakraments“. Ich frage mich, wie lange sich so ein Konzept noch halten kann, das der Wirklichkeit und auch der Bibel widerspricht.
Hat Sie das Ausmaß des Missbrauch-Skandals in der Katholischen Kirche überrascht?
Ja und nein. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass das Ausmaß so groß ist, auf der andern Seite ist die römisch-katholische Kirche, wenn ich es grob sag’, eine Diktatur. Die höchste Tugend ist Gehorsam und Unterwerfung, also nicht Disput und Vereinbarung. Das schafft eine Atmosphäre der Abhängigkeit, ein starkes Machtgefälle, das sich dann in Internaten und kirchlichen Schulen auswirkt. Dort werden diese ganzen Strukturen von Gehorsam und Unterwerfung weitergespielt und zwar gegenüber den Schwächsten, und das sind eben die Kinder. Die Täter sind unterdrückte Menschen. Und unterdrückte Menschen haben es schwer, ein eigenes Selbstwertgefühl aufzubauen, anderen auf gleicher Ebene zu begegnen. Kinder, die in diesem Autoritätsgefüge stehen, sind für die Täter deshalb leicht erreichbar.
Viele geben dem Zölibat die Schuld. Sie auch?
Jein. Die Hauptrolle spielt sicher diese Machtproblematik. Wegen des Zölibats wird kein Mann pädophil. Aber eine Struktur, die auf dem Zölibat aufgebaut ist, zieht natürlich Menschen an, die diese Neigungen haben, und gibt ihnen die Aussicht, das dort ausleben zu können. Viele bemühen sich ja auch, das nicht zu leben. Pädophilie hat im zölibatären Kontext aber sicher einen größeren Spielraum.
Aber auch in der zölibatsfreien evangelischen Kirche kommt Missbrauch vor.
Das ist richtig, aber die meisten Fälle betreffen schon speziell die römisch-katholische Kirche, weil die evangelischen Kirchen demokratisch organisiert sind.
Wird der Zölibat Ihrer Meinung nach fallen?
Prognosen sind immer sehr schwierig. Aber jedenfalls gehört der Zölibat nicht zu den Grundprinzipien des Christentums. Er ist erst relativ spät eingeführt worden, vor etwa 1000 Jahren. Ich meine, dass ein freiwilliger Zölibat eine gute Lebensgrundlage sein kann. Wenn jemand aus Begeisterung und Liebe zu Gott sagt, ich will meine ganze Energie da hineinlegen, dann ist das in Ordnung. Der erzwungene Zölibat ist das Problem. Stimmt das Gerücht, dass der Zölibat von der katholischen Kirche nur eingeführt wurde, damit die adeligen Priester ihr Vermögen nicht den Frauen vermachen können?
Ja, aber das ist nur eine Ursache. Es kommt noch etwas dazu, was viel schwieriger zu überwinden ist. Das ist die Kultisierung des Christentums, die Idee der kultischen Reinheit, also die Unreinheit durch Berührung mit Sexualstoffen. Das hat sich im Lauf der Zeit verstärkt, in der Bibel gibt es diesen kultischen Ansatz nicht, der ist später hinzugekommen und heute für die römische Kirche sehr bestimmend. Diese theologische Barriere müsste die katholische Kirche überwinden. Sexualität nicht als rein oder unrein zu sehen, sondern als Schöpfungsgabe Gottes, die man, solange es freiwillig ist, auch NICHT leben kann. Wenn es unfreiwillig sein soll, dann wird’s problematisch.
Es hat eine erschreckende Massenbewegung raus aus der Kirche eingesetzt: Wie kann die Katholische Kirche das Vertrauen ihrer Mitglieder zurückgewinnen?
Ich denke nicht, dass Menschen nur wegen der Missbrauchsfälle aus der Kirche austreten, sondern weil Institutionen überhaupt an Glaubwürdigkeit verloren haben. Dazu kommt, dass zwischen dem hohen Anspruch der Kirche und dem, was sie lebt, eine Riesenkluft ist. Die Missbrauchsfälle sind eine zusätzliche Belastung, aber nicht der einzige Grund.
Ist die Kirche scheinheilig?
So würde ich es nicht nennen. Aber tatsächlich sollten die Prediger in der Kirche mehr Bewusstsein dafür entwickeln, ob sie den Ansprüchen der Kirche entsprechen oder nicht.
Besser macht es der Papst aber mit seinen allgemeinen Aussagen zur „Causa Prima“ auch nicht.
Seine Aufforderung an die Täter, Wiedergutmachung durch Gebet zu leisten, kam bei mir sehr zynisch an. Als wären da keine beschädigten Menschen im Spiel! Der Schaden betrifft auch alle redlichen Amtsträger, die nun unter Generalverdacht fallen.
Was müsste die Kirche tun?
Mein Vision ist diese: Es wäre ein unglaublich wichtiges Zeichen, wenn alle Verantwortungsträger, in deren Diözesen das passiert ist, zurücktreten, auch wenn sie selber nicht betroffen und involviert sind. Jemand, der eine leitende Aufgabe hat, ist verantwortlich für seinen Betrieb, das ist meine Meinung. Da wäre es ein gutes und richtiges Signal, neuen Leuten eine Chance zu geben. Der Papst spricht ja selbst von Fehlern in der Leitung. Dann ist aber Rücktritt angesagt. Wobei mir klar ist, dass Rücktritt nicht sehr beliebt ist, wie wir ja aus der Politik wissen.
Gilt das auch für den Papst?
Klares Ja. Er ist für die Gesamtkirche verantwortlich. Er könnte zurücktreten. Es wäre ein Zeichen, das die Glaubwürdigkeit fördern könnte.
Aber er wird es niemals tun, obwohl er sich den Vorwurf gefallen lassen muss, dass in seiner Zeit als Erzbischof von München viele Missbrauchsfälle über seinen Schreibtisch gegangen sind.
Vertuschung hängt mit dem Image zusammen. Niemand will sich in der Öffentlichkeit eine Blöße geben. Je höher der Anspruch, desto größer die Angst. Dadurch wird alles noch schlimmer, auch in der Politik.
Die meisten Missbrauchsfälle, die jetzt bekannt werden, liegen lange zurück. Ist es für Sie denkbar, dass das auch heute noch stattfindet?
Ich habe keine interne Sicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass in der Erziehung heute andere Maßstäbe angewandt werden, weil sehr viele Priester und Laientheologen diesem System selber kritisch gegenüberstehen. Sie lehnen diese Strukturen ab. Es ist jetzt auch eine erhöhte Aufmerksamkeit da.
Aber er wird es niemals tun, obwohl er sich den Vorwurf gefallen lassen muss, dass in seiner Zeit als Erzbischof von München viele Missbrauchsfälle über seinen Schreibtisch gegangen sind.
Vertuschung hängt mit dem Image zusammen. Niemand will sich in der Öffentlichkeit eine Blöße geben. Je höher der Anspruch, desto größer die Angst. Dadurch wird alles noch schlimmer, auch in der Politik.
Die Opfer haben eine Sammelklage angekündigt. Wie stehen Sie dem gegenüber?
Die Opferklage ist völlig in Ordnung, auch wenn Geld die Verletzungen nicht aufwiegen kann.
Was soll mit den Tätern geschehen?
Diese werden jetzt zu Monstern gestempelt, ohne zu berücksichtigen, dass Pädophilie, psychologisch gesehen, selbst aus der Ohnmacht kommt, dass wir es mit dem gesamten Persönlichkeitsprofil eines gedemütigten Menschen zu tun haben. Natürlich muss so ein Geschehen vor Gericht gebracht werden, aber die Verurteilung, die öffentliche Bloßstellung, ist natürlich nicht sehr therapiefreundlich. Für die Täter wäre es wichtig, dass sie lernen, mit ihrer Sexualität so zurechtzukommen, dass sie keine Opfer mehr machen. Was die Kirche und ihren Umgang mit den Tätern angeht, wäre ich ganz strikt. So ein Priester darf nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.
Kardinal Schönborn hat relativ früh reagiert. War es auch deutlich genug?
Zunächst habe ich seine Stellungnahme sehr klar gefunden. Aber wenn Kardinal Schönborn die Zahl der Missbrauchsfälle in der Kirche den Missbrauchsfällen in den Familien gegenüberstellt, dann ist das ein falscher Vergleich. Es gibt ja sehr viel mehr Familien als Kleriker und Ordensleute. Daher ist der Prozentsatz von Missbrauch in Familien natürlich viel geringer, nicht höher.

Immer mehr Opfer melden sich zum Teil sehr detailliert zu Wort, können Sie sich das erklären?
Ja, diese Menschen haben aus Scham geschwiegen. Inzwischen sind sie erwachsen und wenn jetzt plötzlich viele Opfer sich zu Wort melden, dann unterstützt das ihren Mut. Sich hinzustellen und zu sagen: Ich bin missbraucht worden, da gehört viel Mut dazu. Dafür muss ich aber keine Details schildern, da haben manche Medien die Intimitätsgrenze überschritten.

Frau Professor, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit eingehend mit dem Feminismus in der Kirche: Hätten mehr Frauen in Führungspositionen Missbrauch verhindern können?
Darüber, warum Missbrauch fast nur bei Männern vorkommt, zerbrechen sich die Psychologen seit jeher die Köpfe. Aber es gibt darauf keine Antwort. Sicher ist, dass das bei Frauen sehr, sehr selten vorkommt. Dass Frauen allerdings so was verhindern können, bezweifle ich. Da schreiben sich Frauen eine Erlöserrolle zu, mit der sie sich übernehmen würden. Aber ich wünsche mir sehr, dass Frauen auch in der römischen Kirche auf allen Ebenen vertreten sind, auch als Priesterinnen.
Wie kam es eigentlich, dass Sie in einem katholischen Land wie Österreich evangelisch aufgewachsen sind?
Mein Vater stammt aus einer deutschen Familie, die nach Böhmen ausgewandert ist und war evangelisch, meine Mutter katholisch. Unsere Familie war, wie damals üblich, patriarchalisch und so wurde das Kind nach dem Vater evangelisch getauft.
Was gefällt Ihnen an der Katholischen Kirche besser?
Die Liturgie. Unsere Liturgie ist sehr nüchtern. Aber sonst bin ich gern evangelisch. Und ich liebe meinen Martin Luther, die Freiheit eines Christenmenschen für die er eingestanden ist.
Welche Leviten hätte er seinen Schäfchen nach einem solchen Skandal wohl gelesen?
Ich glaube, er hätte das angewandt, was man früher „Kirchenzucht“ genannt hat und Pfarrer mit solchen Vergehen ihres Amtes enthoben.
Zur Person: Preisgekrönte Theologin

Karriere:
Geboren als Tochter eines protestantischen Vaters und einer katholischen Mutter in Prag, aufgewachsen in Innsbruck. Studium der evangelischen Theologie in Wien und Bonn, Philosophiestudium bei Prof. Heintel. 1973 Promotion zur Doktorin der Theologie. Seit 1996 ist Prof. Susanne Heine Vorstand des Instituts für Praktische Theologie und Religionspsychologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, davor war sie in Zürich. Heine wurde für ihre Arbeiten im Bereich der Ökumene und des Dialogs der Religionen mit Schwerpunkt Islam mit dem Wilhelm-Hartel-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet.
Privat:
Die ordinierte Pfarrerin ist mit dem (katholischen) Journalisten und Übersetzer Peter Pawlowsky verheiratet (er war viele Jahre Hauptabteilungsleiter beim ORF-Religion). Gemeinsam mit ihrem Mann schrieb sie das Buch „Die christliche Matrix – eine Entdeckungsreise in unsichtbare Welten“ (Kösel Verlag München, € 17,95)

Quelle: kurier.at
Artikel download:[pdf]

Wr. Hochschulseelsorger Msgr. Helmut Schüller fordert Kooperation mit staatlichen Behörden

Helmut Schüller, unter dessen Verantwortung als Generalvikar der Erzdiözese Wien eine kirchliche Ombudsstelle für Missbrauchsopfer eingerichtet wurde, betonte im Interview mit den westösterreichischen Kirchenzeitungen:

Dass nach der Affäre Groer in allen Diözesen Ombudsstellen für Missbrauchsopfer eingerichtet wurden.
Er fordert, dass ‚kein Stäubchen eines Zweifels bestehen‘ dürfe, dass kirchliche Stellen mit staatlichen Behörden bei Anlassfällen bestmöglich kooperieren.
Defizite vermutet Schüller hinsichtlich der Bereitschaft, in der Priesteraus- und -fortbildung das Thema Sexualität anzusprechen. Es muss mehr geschehen, denn wir haben da eine große Erblast der Tabuisierung zu tragen‘.
Quelle: katholisch.at
Artikel download [pdf]

Katholische Laien rufen zu Ungehorsam auf

Die Missbrauchsfälle in der Kirche seien „Ausdruck eines nicht mehr funktionsfähigen Systems“. Nun soll die Revolution von unten kommen.

Die römisch-katholische Laieninitiative ortet – nicht nur wegen der jüngst bekanntgewordenen Missbrauchsfälle – eine „lebensbedrohliche Situation“ für die Kirche. Sie pocht deswegen auf eine umfassende Reform und ruft zum Handeln auf. Man will die Gläubigen nicht auffordern, auszutreten, sondern „loyalen Widerstand“ durch „konsequenten Ungehorsam“ zu leisten, meinte Obmann Herbert Kohlmaier. Die Situation werde durch die Missbrauchsfälle verschärft, die „nur ein Ausdruck, eine Wirkung eines prinzipiell nicht mehr funktionsfähigen Systems“ seien.
Seit über einem Jahr trete die Laieninitiative für ihre Forderungen – etwa verheiratete Männer und Frauen als Priester oder eine Reform des Kirchenrechts, das derzeit den Menschenrechten widerspreche – ein, erklärte der stellvertretende Obmann Peter Pawlowsky. Bisher hätte sich aber nichts getan, obwohl man schon über 12.000 Unterstützer verzeichne, darunter auch Geistliche.

Die Kirche „erleidet permanent schweren Schaden“, betonte Kohlmaier, es sei eine Leitung am Werk, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sei. Korrekturen gebe es aber nicht, da man behaupte, von Jesus eingesetzt worden zu sein – so entstehe aber Weltfremdheit und Realitätsverlust.
Kampagne
„Wenn ein Priester heiratet, wird er verjagt, wenn er sich an Kindern vergeht, wird er versetzt“, dies zeige deutlich den Zustand der Kirche, kritisierte Kohlmaier. Die Reaktion der österreichischen Kirche auf die Missbrauchsfälle gehe am Wesentlichen vorbei, die Hauptprobleme seien Vertuschung und Verlogenheit. Die Fälle seien die Folge einer „falschen Grundstruktur“, Offenheit und Kommunikation würden verweigert, die Vertuschung sei sogar über päpstliche Anordnungen empfohlen worden. Neben der grundsätzlichen Struktur müssten auch die kirchliche Hierarchie und das Verhältnis zur Sexualität geändert werden, ergänzte Pawlowsky.

Es gehe der Laieninitiative um das Wohl der Kirche, deshalb sei man verpflichtet, Widerstand zu leisten, so Kohlmaier. Man werde nun verstärkt um Unterstützer werben, diese könnten ihren Widerstand künftig auch durch Buttons, die ab Pfingsten zu allen kirchlichen Anlässen getragen werden sollen, öffentlich bekunden. Mittels Fragebögen will man Gläubigen außerdem die Möglichkeit geben, Bischöfe zu evaluieren.

Quelle: kurier.at
Artikel download: [pdf]

Missbrauchsopfer bereiten Klage gegen katholische Kirche vor

Missbrauchsopfer haben sich jetzt erstmals zusammengeschlossen und planen rechtliche Schritte gegen die Kirche: Ihr Anwalt fordert bis zu 80.000 Euro Entschädigung pro Opfer.

Für den Wiener Anwalt Werner Schostal ist es „einfach eine Schweinerei, was da in den letzten Jahren und Jahrzehnten innerhalb der katholischen Kirche passiert ist“. Die deutlichen Worte machen schnell klar, warum der Advokat derzeit intensiv an den rechtlichen Details zu einem Präzedenzfall feilt: Erstmals haben sich jetzt kirchliche Missbrauchsopfer aus ganz Österreich zusammengeschlossen, um gemeinsam rechtliche Schritte gegen die katholische Kirche hierzulande zu unternehmen.
Konkret wurde der Verein „Opfer kirchlicher Gewalt“ gegründet, dem aktuell zehn Mitglieder angehören. Der Hintergrund der Vereinsgründung ist ein rechtlicher. Schostal: „Es gibt zwei Varianten: ein ‚Sammelklage-Verein‘, wobei die Mitglieder ihre Ansprüche an den Verein abtreten und dieser dadurch klagslegitimiert ist. Oder es klagen Einzelpersonen nebeneinander, und diese Klagen werden aber letztlich, etwa aus Gründen der Verfahrensökonomie, gemeinsam geführt.“ Prinzipiell wolle man aber die katholische Kirche in Österreich nicht mit unzähligen Klagen „in die Knie zwingen“. Schostal: „Zunächst machen wir einmal die Ansprüche außergerichtlich geltend. Zeigt sich die Kirche nicht kompromissbereit oder sind die angebotenen Zahlungen zu gering, dann bringen wir die Klage ein.“
Diese würde sich primär gegen die Schädiger, aber auch gegen die katholische Kirche als „übergeordnete Organisation“ richten.

Vonseiten des Vereins „Opfer kirchlicher Gewalt“ hat man jedenfalls konkret auch eine Klage gegen zwei Bischöfe ins Auge gefasst: den Eisenstädter Diözesanbischof Paul Iby und den Grazer Altbischof Johann Weber. Hintergrund dürfte sein, dass auch Opfer jenes obersteirischen Pfarrers, der in den späten 1970er- und 1980er-Jahren bis zu zwanzig Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht oder belästigt hatte und bis Anfang März im Burgenland tätig war, unter den klagswilligen Vereinsmitgliedern sind.

„Die besten Chancen rechne ich mir aber beim unmittelbaren Schädiger aus. Spannend wird da die Frage der Verjährung: Die strafrechtliche Verjährung, wenn es bei einem sexuellen Missbrauch zu einem Geschlechtsverkehr kam, beträgt 20 Jahre. Wenn jemand strafrechtlich verurteilt wird, dann nur, wenn es noch nicht verjährt ist. Und dann kann man gegen die Person auch zivilrechtlich vorgehen – da verjährt der Anspruch erst nach 30 Jahren“. Schostal geht aber davon aus, dass sich unter den „hunderten Opfern“, die sich dem Verein anschließen werden, etliche Fälle sind, die noch nicht verjährt sind.

Und es muss vonseiten der Kirche ordentlich Geld fließen, um eine drohende Klage abwenden zu können. Schostal: „Wir lassen uns nicht mit 20.000 Euro abspeisen. Das wäre schlicht und einfach lächerlich. Was diesen Leuten widerfahren ist, ist einfach ein absoluter Wahnsinn. Das muss der Kirche entsprechend Geld wert sein. Im Fall eines jahrelangen Missbrauchs sind 80.000 Euro mehr als angemessen.“ (Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.2.2010)
Quelle: derstandard.at

Artikel download: [pdf]

„Zölibat abschaffen und damit Männerbund Klerus sprengen“

Der Psychotherapeut Richard Picker sieht derzeitige Vorgänge als Chance: „Großartig, dass das ansprechbar geworden ist“

Das Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche sorgt derzeit in ganz Europa für Skandalschlagzeilen. 2009 in Irland, heuer in Deutschland und nun offenbar auch in Österreich. Warum reißen die Schreckensmeldungen über Pädophilie innerhalb von Kirchen- bzw. Internatsmauern nicht ab? Ist der Zölibat daran schuld? Gibt es Hoffnung auf eine Lösung des Problems?

„Die Kirche hat einen hohen ideellen Wert, da fällt jede Abweichung auf, sie steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, dort darf so etwas nicht passieren“, beschreibt Picker ein über Jahrhunderte gewachsenes Verhaltensmuster unserer Gesellschaft. Das derzeitige Aufbrechen, das Ende des Schweigens der Missbrauchsopfer sieht er als Chance: „Es ist großartig, dass das ansprechbar geworden ist.“ Lange Zeit hätten sich Menschen gefürchtet, Dinge wie diese zu benennen. Deshalb dauere es meist 20, 30, 40 Jahre, bis jemand den Mut aufbringt und darüber redet: „Weil vom Priester eine archaische Macht ausgeht. Man war es einfach nicht gewohnt, so etwas zu melden.“ Der Geistliche als unantastbares Wesen, als über dem Gesetz stehende Person – ein Problem, mit dem die vielen Missbrauchsopfer im Vorjahr in Irland konfrontiert worden waren.

Für Picker ist der Zölibat ein besonderer Bremser in der Auseinandersetzung der Kirche mit Sexualität: „Es ist für die psychosexuelle Entwicklung eines jungen Menschen eine unglaubliche Irritation. Die Kirche leugnet das aber bis heute. Der Zölibat kann schwere Erfahrungsstörungen bewirken. Außerdem zieht es wie ein Magnet psychisch deformierte Jugendliche an. Auch deshalb gehört es abgeschafft, um damit den Männerbund Klerus zu sprengen.“ Der Verzicht auf Sexualität als sinnloses Opfer: „Es ist nicht argumentierbar, was Gott davon haben soll.“

Männerbund mit großer Macht

Darüber hinaus übe ein Männerbund auf den einzelnen Mann große Macht aus. „Er dient zur Identifikation: Wir haben etwas besonderes gegen Frauen. Das kommt daher, dass die Männer die politische Macht übernommen haben, obwohl sie biologisch gesehen das schwächere Geschlecht sind.“ Die Kirche müsste diesen Umstand laut Picker gar nicht fürchten, doch ihr kulturelles Erbe hindere sie daran. „Ein Bub ist gar nichts, eine Frau ist der Feind.“ Sich einem Buben sexuell zu nähern ziehe keinerlei Verantwortung nach sich, es finde kein Zeugungsakt statt, es resultiere daraus keine „Zukunft“. „Dabei ist noch viel zu wenig überlegt worden, was eigentlich aus den Kindern geworden ist. Man hat immer gesagt: Ach, was soll das denen schon ausmachen?“

Picker ist selbst Betroffener, wenn auch kein gebranntes Kind. „Ich war mit den Jesuiten am Traunsee. Da hat mich ein Pater alleine im Schlafsaal erwischt und gefragt, ob ich schon geschlechtliche Lust kenne – ein klassischer Anmachspruch. Mich hat das damals kalt gelassen. Aber es gibt halt viele, die das nicht kalt lässt.“

Heftige Kritik übte Picker in diesem Zusammenhang am Papsttum generell sowie an Papst Benedikt XVI. im Besonderen. Um einen Wandel herbeizuführen, müsste dieser „auf seine übergroße Macht verzichten. Gegen ihn gibt es keine Chance der Appellation.“ Dies schaffe ein „Milieu der Gedrücktheit“, es entsteht ein Gefühl der Machtlosigkeit. Hoffnung, dass gerade unter Benedikt XVI. Kirche und Sexualität eine Annäherung erfahren, hat Picker nicht. „Der jetzige Papst lebt eigentlich im Hochmittelalter. Er schließt mit einer Seelenruhe die halbe Welt (die Frauen, Anm.) vom Priesteramt aus. Das würde ein Seelsorger nicht schaffen.“

Quelle: derstandard.at
Artikel download: [pdf]

Sexuelle Ausnutzung von Autoritätsverhältnissen ist kein Kavaliersdelikt mehr.

Was man von den Kirchenoberen verlangen muss, ist, dass sie künftig wirklich kompromisslos gegen Untaten und Täter vorgehen.
Es ist unumgänglich, dass die Kirche sich weder die Feststellung, ob strafbare Handlungen vorliegen, noch die Aburteilung von Tätern vorbehält. Es geht um weltliche Verbrechen – die zu ahnden ist ausnahmslos (auch) Sache der weltlichen Behörden.

Quelle: diepresse.com
Artikel download  [pdf]

Projektgruppe zur Verhinderung sexuellen Missbrauchs:

bestehend aus den Ombudsleuten und weiteren Experten erstellen bis zur Sommervollversammlung im Juni ein detailliertes Gesamtkonzept.
Herbert Bartl, Sprecher der Initiative ‚Priester ohne Amt‘:  ‚Grundlegend ändern müsse sich die Einstellung der Kirche zur Sexualität: ‚Es ist doch immer noch eine schwere Sünde, wenn man beim Lulumachen zweimal nach unten greift.‘

Quelle: derstandard.at
Artikel download [pdf]

Zölibat? Oft ein Deckmantel

Grünen-Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner fordert von der Kirche Pflicht zur Selbstanzeige. An der ÖVP ärgert ihn Zynismus, an der SPÖ Populismus.
Bevor Sie Bundesgeschäftsführer der Gründen wurden, waren Sie viele Jahre Generalsekretär der Caritas. Sie sind aktives Kirchenmitglied, macht Sie der Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen traurig oder zornig?

Stefan Wallner: Ich bin enttäuscht und wütend, wie viele. Und weil ich selbst drei Kinder habe, frage ich mich, was das für die betroffenen Kinder und ihre Eltern heißt. Es gibt wohl kaum Grausameres. Deshalb fordere ich von der Kirchenleitung jene Konsequenz, die sie oft von anderen fordert.
Welche Konsequenz meinen Sie?

Es braucht einen Entschädigungsfonds, gespeist von der Kirche und von anderen Trägern, die Internate betreiben. Und um jeden Geruch von Schweigegeld zu vermeiden, müssen den Fonds unabhängige Experten verwalten.
Wofür soll der Fonds sein? Für Therapien?

Es geht um eine Entschädigung für erlittenes Leid und seine Folgen. Das reicht aber nicht: Die Kirchenleitung ist dringend gefordert, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen. Und es muss eine kirchliche Selbstverpflichtung zur Anzeige geben.
Kann das allein Missbrauch verhindern?

Nein. Ich frage mich, wie das mit der Personalrekrutierung und der Ausbildung des kirchlichen Personals ausschaut.

Und spielt der Zölibat eine Rolle?
Man bekommt den Eindruck, dass der Zölibat für manche Leute, die ein unreifes, krankhaftes Sexualverhalten haben, ein Deckmantel ist, unter dem man sich verstecken kann. Der Zölibat ist ja auch nichts, was den Kern der Lehre betrifft, sondern nur eine Art, sich zu organisieren.

Sind Sie für die Abschaffung des Zölibats?
Ich kenne über die Jahre mehr Priester, die den Zölibat nicht leben, als solche, die ihn konsequent leben – in freiwilligen heterosexuellen oder homosexuellen Beziehungen. Da habe ich kein Problem damit. Ich würde mir nur mehr Ehrlichkeit erwarten. Die Leute in den Pfarren wissen sowieso, wer die Freundin oder der Freund vom Pfarrer ist. Man darf vor allem die Beziehung unter Erwachsenen nicht mit Missbrauch und Gewalt vermischen. Vielleicht verhilft ja die Dramatik der Situation zu mehr Ehrlichkeit und entsprechenden Konsequenzen.

Apropos ehrlich: Haben Sie Ihren Wechsel zu den Grünen schon bereut?
Keineswegs.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.03.2010)

Quelle: diepresse.com
Artikel download [pdf]